praxis-agrar.de: Wenn schon Neupflanzung, dann richtig: Was erleichtert Gehölzen das Leben in der Stadt?
Böll: Das Stichwort Pflanzgrube habe ich schon erwähnt. Im Regelwerk der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL) sind 1,5 Meter Tiefe und 12 Kubikmeter Volumen vermerkt, das ist das absolute Minimum. Wo das nicht gegeben ist, kann man einen Strauch pflanzen, aber bitte keinen Baum! Mehr Platz ist natürlich immer besser – in München hat man sich stolze 36 Kubikmeter auf die Fahnen geschrieben.
Noch besser als einzelne Pflanzgruben wäre ein Pflanzstreifen für mehrere Bäume. Darin können die Wurzeln seitlich weiterwachsen und geben den Bäumen eine höhere Standfestigkeit. Der Grünstreifen bietet auch einen wichtigen Teillebensraum für verschiedene Insekten wie Wildbienen, Zikaden und Wanzen und trägt zur Verdunstungskühlung an warmen Tagen bei.
Ein weiterer Punkt ist der Boden beziehungsweise das Substrat. Im Park findet man in der Regel gewachsenen Boden vor, aber wenn wir in der Stadt eine Grube ausheben, stoßen wir in erster Linie auf Schutt aus der Nachkriegszeit. Hier wäre ein Baumsubstrat das richtige. Es darf nicht zusammensacken, also nicht zu viel organisches Material enthalten, muss gut durchlüftet sein und eine hohe Wasserspeicherkapazität haben. Belüftungsschläuche sind passé, die wurden vor 15 Jahren noch empfohlen, aber davon ist man völlig abgekommen, das muss das Substrat allein leisten können.
Auch hierzu gibt es bereits ausreichend Richtlinien, etwa von der FLL, genau wie zum fachgerechten Pflanz- und Erziehungsschnitt. Aber Richtlinien nützen nichts, wenn diese Punkte nicht in die Ausschreibungen aufgenommen werden und niemand die Umsetzung kontrolliert. Das ist bislang in vielen Kommunen ein riesiges Problem, genau wie der Zwang, bei Ausschreibungen den günstigsten Anbieter zu wählen. Wer Qualität anbieten oder einkaufen will, muss bestrebt sein, dass Ausschreibungen möglichst detailliert gehalten werden, das gilt für alle: Entscheider, Planer und Ausführende.
praxis-agrar.de: Wie lassen sich die Missstände beheben?
Böll: Es deutet sich allmählich eine Kehrtwende an. Auf den Deutschen Baumpflegetagen in Augsburg sind zum Beispiel auch immer mehr Planer vertreten, was früher die absolute Ausnahme war. Das lässt hoffen, dass Bäume mittelfristig nicht mehr nur nach dem perfekten Habitus ausgewählt werden und sich auch die planerisch vorgegebenen Standortbedingungen verbessern.
Auch in den Kommunen erfahren Bäume mittlerweile eine höhere Wertschätzung. Früher galt meist die Devise „Grau vor Grün“, das ändert sich mancherorts schon. Mittelfristig muss beides mindestens den gleichen Stellenwert erhalten. Das bedeutet unter anderem mehr und gut ausgebildetes Personal – gerade, wenn wie derzeit in vielen Städten ganze Stadtteile neu entstehen. Nur mit genügend Personal können Ausschreibungen zielgerichtet abgefasst und die Qualität der ausgeführten Arbeiten überprüft werden.
Das kann aber zum Beispiel auch bedeuten, Zuständigkeiten neu zu regeln: Es löst viele Probleme, wenn Baumpflanzungen nicht mehr, wie oft üblich, beim Tiefbauamt angesiedelt sind, sondern wieder beim Grünflächenamt. Wenn das nicht geht, muss zumindest die Kommunikation zwischen den Bereichen verbessert werden, dann finden sich auch neue Denkansätze.
In Stockholm etwa gibt es keine Konkurrenz zwischen Kabelschächten und Wurzelraum, weil Kabel meist in der Mitte der Fahrbahn verlegt werden. Auch über das Prinzip einer Schwammstadt wird in vielen Städte schon diskutiert. Dabei würden innerstädtisch gezielt grüne Retentionsflächen geschaffen – also meist etwas tiefer liegende Ausweichflächen, auf denen sich das Wasser zum Beispiel bei Starkregen sammeln kann. Die wiederum könnten an Alleen angeschlossen werden und dort die Wasserspeicher nachhaltig füllen, während Starkregen sonst kaum bis in die unteren Bodenschichten eindringt.
praxis-agrar.de: Wie kann man die Bedingungen für bestehende Pflanzungen verbessern?
Böll: Zum einen auch hier durch mehr Kontrolle und gut ausgebildetes Personal beziehungsweise zuverlässige Firmen mit ebenso zuverlässigen Subunternehmern. Oft geht es ja um ganz simple Sachen, zum Beispiel wie jemand beim Bewässern den Schlauch hält: Wird tatsächlich die Baumscheibe gewässert, oder fließt es quasi direkt in den Rinnstein?
Jungbäume benötigen einen Stammschutz, wenn sie in Einzelstellung der prallen Sonne ausgesetzt sind. Das gilt auch für alle Baumarten, die keine Borke bilden, sondern dauerhaft eine glatte Rinde besitzen. Ohne Stammschutz kann der Unterschied von der Süd- zur Nordseite bis zu 15 Grad Celsius betragen. Das verursacht Spannung und kann zu Rissen führen, durch die wiederum Krankheitserreger leichter eindringen können. Geeignet sind Tonkinmatten oder ein Weißanstrich.
Bei Tiefbaumaßnahmen müssen Bäume einen entsprechenden Wurzelschutz erhalten und Bodenverdichtungen beim Einbau von Substraten vermieden werden. Verdichtungen sind generell unbedingt zu vermeiden. Dabei hilft zum Beispiel eine geeignete Unterpflanzung oder die Baumscheibe wird mit speziellen Schutzsystemen abgedeckt, damit sich einwirkende Punktlasten verteilen.
Selbst wenn sich bereits erste Schadysmptome zeigen, kann man oft noch viel bewirken, etwa indem man Flächen entsiegelt und eine Bodensanierung durchführt. Mithilfe von Druckluftlanzen lassen sich Sauerstoff und Dünger in den Boden einbringen. Mykorrhiza-Präparate kann man sich sparen – in einem Versuch mit 20 Baumarten haben wir keine statistisch gesicherten Effekte feststellen können. Hilfsstoffe, die für eine bessere Belüftung sorgen, können hingegen durchaus sinnvoll sein.