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Neue genomische Techniken in der Landwirtschaft Neue genomische Techniken in der Landwirtschaft

Die Pflanzenzüchtung steht vor der Herausforderung, inmitten globaler Krisen wie Artenschwund und Klimawandel, angepasste Nutzpflanzen für die Ernährungssicherheit bereitzustellen. In diesem Text erfahren Sie, welche Chancen und Risiken Neue Genomische Techniken wie die Genschere CRISPR/Cas für die Landwirtschaft haben.

Die gezielte Editierung des Genoms von Nutzpflanzen wurde durch die Entdeckung von „steuerbaren“ Nukleasen möglich.
Quelle: stock.adobe.com/Werckmeister

Der Begriff Neue Genomische Techniken (kurz: NGT) umfasst molekularbiologische Verfahren, die eine zielgerichtete Bearbeitung des Erbguts erlauben. Hierbei werden spezifische Gene oder Genabschnitte durch Proteine angesteuert und durch Einfügen oder Entfernen einzelner Bausteine aktiviert oder ausgeschaltet. Diese Werkzeuge, die auch unter dem Sammelbegriff „Genom-Editierung“ bekannt sind, sind keine Erfindung des Menschen: Sie basieren auf uralten evolutionären Mechanismen, die aus der Natur stammen und kontinuierlich weiterentwickelt werden.

Entdeckung einer molekularen Schere

Oftmals kommt das Wissen über diese genetischen Werkzeuge aus der Grundlagenforschung:

  • Pflanzenpathogene wie Xanthomonas-Bakterien nutzen sogenannte TAL-Effektoren, um Wirtspflanzen zu infizieren.
  • Der Krallenfrosch Xenopus laevis steuert durch spezielle „Zinkfingerproteine“ die Genaktivität in seinen Keimzellen.
  • Archaebakterien und Bakterien erkennen Viren durch repetitive Nukleinsäure-Moleküle in ihren Zellen und schützen sich so vor erneuter Infektion.

Diese Entdeckungen waren die Grundlage für bekannte Verfahren wie TAL-Effektornukleasen (TALEN), Zinkfingernukleasen (ZNF) und das mit Abstand am häufigsten genutzte NGT-Verfahren in der Pflanzenzüchtung: CRISPR/Cas.

Gezielter Eingriff in das Pflanzen-Erbgut

Das aus dem Immunsystem der Bakterien stammende CRISPR/Cas-System macht Viren in drei Schritten unschädlich: Suchen, Finden und Schneiden. Anhand einer molekularen „Schablone“, der sogenannten Guide-RNA, sucht das System kontinuierlich nach (zur Sequenz passenden) fremden Erbinformation, bindet spezifisch an das Virus und rekrutiert daraufhin eine Endonuklease (die „Genschere“ Cas9 ist eine von vielen Nukleasen, die in der Genom-Editierung Einsatz finden), die das Virus zerschneidet. Genau dieser Mechanismus kommt in der Pflanzenzüchtung zum Einsatz: Im Labor können Forschende die Guide-RNA von außen hinzugeben und so die Schablone, nach der die Genschere in der Pflanzenzelle „navigiert“, vorgeben.

Mechanismus zur Genomeditierung mittels der neuen genomischen Technik CRISPR/Cas.
Quelle: transGEN.de

Nachdem die Pflanzen-DNA durch das Cas-Protein an der spezifischen Stelle geschnitten wurde, aktiviert die Pflanzenzelle automatisch einen natürlich ablaufenden Reparaturmechanismus. Die Reparatur der DNA kann entweder gezielt mit Hilfe einer Vorlage oder zufällig durch das Einfügen oder Entfernen von Nukleotiden erfolgen. Im ersten Fall kann ebenfalls im Labor eine Vorlage hinzugefügt werden, die die gewünschte Veränderung trägt. Aber auch durch zufällige Mutation, die durch Fehler bei der zelleigenen Reparatur entsteht, kann die Funktion des Gens verändert werden.

Von Kreuzung bis Genom-Editierung – wo fängt Gentechnik an?

Die modernen Verfahren, die unter NGT zusammengefasst werden, sind erst durch den technischen Fortschritt und das wachsende Wissen um die Genetik der Pflanzen ermöglicht worden. Sequenzierungstechniken erlauben es Forschenden, Gene in Nutzpflanzen in silico (am Computer) zu studieren und ihre Funktion zu ergründen. Das Neuartige daran: In der Geschichte der Pflanzenzucht hat lange das Zufallsprinzip dominiert. Bei der klassischen Kreuzung wurden Pflanzen mit wünschenswerten Eigenschaften kombiniert und gesamte Genome miteinander gemischt.

Klassische Züchtung durch Kreuzung von Genotypen mit erwünschten Merkmalen.
Quelle: transGEN.de

Bei der Mutationszüchtung nutzt man Strahlung oder mutagene Chemikalien, um die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auftretenden, vorteilhaften Veränderungen am vorhandenen Erbgut zu provozieren. Beide Verfahren führen zu unerwünschten Nebeneffekten (Nebenmutationen, oder off-target effects), die in aufwändigen Rückkreuzungs-Schritten wieder entfernt werden. Bis zur Marktreife einer neuen Pflanzensorte kann es so – je nach Kulturart – Jahrzehnte dauern.

Mutationszüchtung zur Erzeugung neuer Genotypen.
Quelle: transGEN.de

Die erste gezielte Bearbeitung des Pflanzengenoms brachte die klassische Gentechnik. Mit Hilfe eines Vektororganismus (beispielsweise Agrobakterium) wurden in den 1980er Jahren erstmals artfremde Genabschnitte aus verschiedenen Organismen in Pflanzenzellen übertragen. Bis heute bekannte Beispiele für Anwendungen der klassischen Gentechnik sind die Bt-Technologie, bei der ein Gen aus Bacillus thuringiensis Pflanzen gegen Schadinsekten resistent macht, oder der sogenannte „Golden Rice“, eine Reissorte mit erhöhtem Provitamin A-Gehalt. Diese Pflanzen unterliegen als klassische Gentechnisch Veränderte Organismen (GVO) in Deutschland und Europa strengen Zulassungs- und Prüfverfahren.

Klassische Gentechnik und Transfomation mittels Agrobacterium tumefaciens zur Einbringung artfremder (transgener) DNA.
Quelle: transGEN.de

Die gezielte Mutationszüchtung mittels NGT kommt ohne artfremdes Genmaterial aus, wenn nach dem Einsatz der Genschere mit der zelleigenen Reparatur gearbeitet wird. Bisher ist es auf internationaler Ebene nicht einheitlich geklärt, ob mittels NGT gezüchtete Pflanzen als GVO einzustufen sind (Stand: Juni 2024). Vor allem dann, wenn in der Züchtung keine Erbinformation aus anderen Organismen hinzugegeben wird, sind NGT-Pflanzen von natürlich vorkommenden Mutanten (oder solchen aus der Zufallsmutagenese mittels Strahlung) nicht unterscheidbar.

Im Gegensatz zur klassischen Gentechnik, bei der ganze Genabschnitte ins pflanzliche Genom integriert werden, können NGT-Pflanzen ganz ohne Fremd-DNA entstehen. Die Genom-Editierung könnte so beispielsweise inaktivierte oder defekte Gene innerhalb einer Kultursorte wiederherstellen. Durch die neuartigen Techniken ist es also denkbar, gezielte Veränderungen von Eigenschaften in Nutzpflanzen vorzunehmen, die ohne klassische gentechnische Verfahren auskommen.

Phasen der Genomeditierung mittels neuer genomischer Techniken.
Quelle: transGEN.de

Anwendungsbeispiele in der Landwirtschaft

Die Methoden der Pflanzenzüchtung zielen darauf ab, robuste und ertragreiche Nutzpflanzen zu erzeugen, die auch in der Klimakrise eine zuverlässige Versorgung mit pflanzlichen Produkten garantieren. Die Zuchtziele in der CRISPR-Forschung reichen von Ertragssteigerung, über effizientere Wassernutzung bis hin zu Resistenzen gegen (neu auftretende) Schaderreger. Auch züchterisch wenig beforschte „Nischenkulturen“ sollen durch NGT verbessert werden.

Zuchtziele:

  • Verbesserung der Trockentoleranz
  • De novo-Domestikation von Nischenkulturen
  • Resistenz gegen relevante Schaderreger

Forschungsansätze:

  • Veränderung von Phytohormon-Regulatoren im Mais mittels CRISPR/Cas, die zu einer längerem Wachstumsperiode unter Trockenstress führt
  • Veränderung von agronomisch relevanten Eigenschaften (Wuchsform, Ertrag, Geschmack) in Wildtomaten mittels CRISPR/Cas innerhalb einer einzigen Generation
  • Veränderung von bekannten Resistenzgenen im Weizen mittels CRISPR/Cas für eine verringerte Anfälligkeit gegen relevante Pilzkrankheiten (Braunrost, Gelbrost, Septoria und Fusarium)

Forschungsstand:

  • Mais/Trockentoleranz: Positive Ergebnisse im Labor, 2022 Beantragung von zwei Freisetzungen auch in der EU (Belgien)
  • Wildtomate/Ertrag: Positive Ergebnisse im Labor, Proof-of-Concept für zukünftige Züchtung von orphan crops wie Kichererbse, Ackerbohne oder Süßlupine
  • Weizen/Pilzresistenz: Positive Ergebnisse im Labor (DE), 2023 größere Infektions-Experimente unter kontrollierten Bedingungen (Gewächshaus)

Die exemplarischen Anwendungsbeispiele für NGT in der Pflanzenzucht versprechen resilientere und widerstandsfähigere Nutzpflanzen. Auf diese Weise bearbeitete Pflanzensorten könnten im Anbau weniger Betriebsmittel wie Dünger, Beregnung oder Pflanzenschutzmittel benötigen.

Auf diese Weise eingesetzt würden die modernen Züchtungsmethoden der Farm-to-Fork-Strategie der Europäischen Kommission zuträglich sein, die eine Reduktion von Pestiziden um 50 Prozent bis zum Jahr 2030 und eine Ausweitung des ökologischen Landbaus vorsieht. Es bedarf jedoch eines klaren Rechtsrahmens, damit NGT-Verfahren wie CRISPR/Cas ihren Nutzen für eine nachhaltige Landwirtschaft unter Beweis stellen können.

Chancen und Risiken von NGT im Diskurs

Die Schnelligkeit des Züchtungserfolgs sowie die Möglichkeit, ohne artfremdes Genmaterial neue, vorteilhafte Eigenschaften in Kulturpflanzen zu erzeugen sind häufig genannte Argumente zugunsten von NGT. Allerdings geben kritische Stimmen zu bedenken, dass bei der Diskussion um eine Lockerung des Gentechnikrechts für die erleichterte Zulassung von NGT-Pflanzen auch sozioökonomische Aspekte eine Rolle spielen müssen. Im aktuellen Gesetzesvorschlag der EU-Kommission werden die Patentierbarkeit und die Kennzeichnung bis zum Endprodukt erwähnt, die gegen eine Monopolisierung des Saatgutmarkts wirken sowie der Wahlfreiheit der Konsumierenden zugutekommen sollen. Auch müsse den Herausforderungen der modernen Landwirtschaft und des Klimawandels im System entgegengetreten werden und es könne keine isolierten Lösungen geben.

Ein großes Problem ist, dass zurzeit kein Verfahren existiert, mit dem NGT Mutationen eindeutig identifiziert und von natürlichen Mutationen unterschieden werden können. Das wäre aber Voraussetzung für eine amtliche Überwachung und letztendlich die Kennzeichnung genomeditierter Erzeugnisse. Hierzu wurden zwei Projekte gefördert „DETECT“ und „RapsNMT“, die Nachweis- und Identifizierungsverfahren für genomeditierte Pflanzen erarbeiten sollten.

Projekte: DETECT und RapsNMT

Ziel:

- Machbarkeitsstudien für zuverlässige Nachweis- und Identifizierungsverfahren von genomeditierten Pflanzen und pflanzlichen Produkten

Versuchsansätze:

- Untersuchungsgegenstand waren eine Cas9-induzierte Mutante der Gerstensorte 'Golden Promise' DH1-6 und eine Mutante der Rapssorte 'Mozart' CRT1a

- Sequenzierung des gesamten Genoms, Tiefensequenzierung von Amplikons und verschiedene PCR-basierte Methoden (qPCR, ddPCR)

Ergebnisse:

- Ein verlässlicher Nachweis des Genotyps ist in Mischproben (0,9 % und 0,1 % Mengenanteil) möglich

- Die Verfahren müssen für jede Mutation neu verifziert werden

Hierzulande sprechen sich Wissenschaftsorganisationen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina klar für eine Neuregulierung von NGT-Pflanzen aus. Der wissenschaftliche Konsens sei eindeutig: Von Pflanzen, die durch Neue Genomische Techniken gezüchtet wurden, gehe kein größeres Risiko aus als von konventionell gezüchteten. Für viele Forschende überwiegen die Chancen der Technologie die möglichen Risiken. Ein strenges Zulassungsverfahren – wie es bei klassischen GVO der Fall ist – würde Innovation für eine produktive und nachhaltige Landwirtschaft behindern.

Wie bei vielen neuartigen Technologien setzt der Einsatz Neuer Genomischer Techniken in der Landwirtschaft eine umfangreiche Risikobewertung voraus. Zum Zeitpunkt der Recherche wurde auf EU-Ebene ein neuer Gesetzesvorschlag diskutiert, der eine evidenzbasierte Reform des Gentechnikrechts anstrebt.


Glossar


Letzte Aktualisierung 03.07.2024

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