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Die Schilf-Glasflügelzikade und die Folgen für den Kartoffelanbau in Deutschland

Die Bakterielle Kartoffelknollen-Welke ist eine neue Krankheit in der Kartoffel, deren Verbreitung maßgeblich durch die Schilf-Glasflügelzikade vorangetrieben wird. Erfahren Sie mehr über dieses Thema und aktuelle Forschungsaktivitäten aus den Projekten SIKAZIKA und KARTOZIK.

Es ist eine Kartoffelpflanze zu sehen auf der eine Schilf-Glasflügelzikade sitzt, um das Wirtsspektrum dieses Schaderregers zu verdeutlichen.
Adulte Schilf-Glasflügelzikade auf einem Kartoffelblatt.
Bild: Agrarservice Hessen-Pfalz GmbH

Historie der Schilf-Glasflügelzikade in Kartoffeln

Nymphen der Schilf-Glasflügelzikade im Kartoffeldamm.
Bild: Agrarservice Hessen-Pfalz GmbH

Seit 2020 zeigten sich im Kartoffelanbau in Rheinland-Pfalz und Hessen auffällig viele kleine sowie weiche Knollen und Verarbeitungskartoffeln, die immer häufiger von Reklamationen oder Weigerungen betroffen waren. Zudem kam es in Hessen beim Anbau von Kartoffeln zu verstärkten Auflaufproblemen. Mit dem Fund von Nymphen in Kartoffeldämmen und den zunehmenden Problemen mit SBR in Zuckerrüben wurden 2022 erstmals Kartoffelknollen positiv auf ARSEPH analysiert (Behrmann et al., 2022).

Im darauffolgenden Jahr wurde zu dieser Problematik das erste öffentlich geförderte Projekt in Deutschland, SIKAZIKA - Sicherung des Kartoffelanbaus in Hessen durch innovatives Zikaden-Management, initiiert. Im Jahr 2024 folgte ein rheinland-pfälzisches Projekt: KARTOZIK - Management der Bakteriellen Kartoffelknollen-Welke zur Erhaltung des Kartoffelanbaus und der Wertschöpfung durch Vermarktung und Verarbeitung.

Die Projekte verfolgen mehrere zentrale Ziele: 

  • Identifizierung toleranter Kartoffelsorten
  • Entwicklung praxisorientierter Handlungsempfehlungen zur Eindämmung des Krankheitsdrucks
  • Intensives Monitoring an verschiedenen Standorten in Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg

Im Rahmen des Projekts KARTOZIK wird zudem der Einfluss der Erreger auf die Lagerfähigkeit und Qualität von Lagerkartoffeln untersucht. Weitere Forschungsschwerpunkte liegen auf der Untersuchung der Übertragungswege sowie des Verhaltens der Schilf-Glasflügelzikade an Kartoffelpflanzen, um mögliche Maßnahmen zur Reduktion der Zikadenpopulation zu identifizieren. Darüber hinaus wird beim Pflanzenschutzdienst des Regierungspräsidiums Gießen der Einfluss des Erregers Arsenophonus (ARSEPH) auf das Pflanzgut untersucht.

Die Schilf-Glasflügelzikade und Winden-Glasflügelzikade als Vektoren

Proteobakterium Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus (ARSEPH) und das Stolbur-Phytoplasma Ca. Phytoplasma solani (PHYPSO) sind leitbündel-besiedelnde Bakterien. Die Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus) kann beide phytopathogene Bakterien übertragen, während die Winden-Glasflügelzikade (Hyalesthes obsoletus) bei Kartoffel lediglich PHYPSO überträgt.

H. obsoletus ist ein bekannter Überträger von PHYPSO in Kartoffeln, legt ihre Eier aber an Ackerwinden ab, von der sich ihre Nymphen auch ernähren (Ulrich et al., 2010; Maixner, 2007). Es gibt jährliche Schwankungen bei der Übertragung von PHYPSO mit H. obsoletus als Vektor (Lessio et al., 2007; Johannesen et al., 2012). Im Gegensatz dazu legt P. leporinus ihre Eier direkt an der Kartoffelpflanze ab, so dass die geschlüpften Nymphen direkt an der infizierten Knolle PHYPSO aufnehmen können. 

Zusätzlich zu PHYPSO überträgt P. leporinus auch ARSEPH auf Kartoffeln (Therhaag et al., 2024). Mit diesem Wissen wurde 2022 eine neue Krankheit definiert: die durch PHYPSO- und ARSEPH-Erreger verursachte Bakterielle Kartoffelknollen-Welke, die sich von der früheren PHYPSO-Krankheit in Kartoffeln unterscheidet.

Symptome und Folgen der Krankheit

Anders als bei Zuckerrüben sind die Symptome bei Kartoffelpflanzen, die mit ARSEPH, PHYPSO oder beiden Erregern infiziert sind, vielfältig und unspezifisch. Befallene Pflanzen sind gekennzeichnet durch Geiztriebe, Vergilbung von Trieben und Blättern, Rotfärbung, Welken oder Absterben sowie der Entwicklung von Luftknollen. In den letzten Jahren wurde in Gebieten, in denen P. leporinus verbreitet ist, eine unregelmäßige Abreife beobachtet.

Rechte Pflanze mit Geiztrieben und linke Pflanze ohne Geiztriebe.
Bild: Agrarservice Hessen-Pfalz GmbH
Rotfärbung von Blättern.
Bild: Agrarservice Hessen-Pfalz GmbH
Weiche, gummiartige Knollen im Jahr 2022.
Bild: Agrarservice Hessen-Pfalz GmbH
Gelbfärbung von Trieben und Blättern.
Bild: Agrarservice Hessen-Pfalz GmbH
Luftknollen an einer Kartoffelpflanze.
Bild: Agrarservice Hessen-Pfalz GmbH

In heißen Sommern traten vermehrt weiche Knollen auf, die eine gummiartige Struktur aufwiesen. Diese Schäden können auch bei der Lagerung auftreten. Außerdem werden höhere Zuckergehalte bei befallenen Knollen beobachtet. Ein zunehmender Befall führt zu kleineren und weichen Knollen (Jovic et al., 2011; Behrmann et al., 2023). Die Knolle weist zudem Mängel auf, wie z. B. eine Verbräunung des Gefäßbündelrings, Nekrosen an der Verbindungsstelle zwischen Stolon und Knolle („Nabelende“) oder einen veränderten Zuckergehalt (Lindner et al., 2011). 

Einfluss auf die Qualitätseigenschaften des Erntegutes

Was die Verfärbung des Gefäßbündelrings und die Nekrose am "Nabelende" betrifft, so ist die Rolle der Zikaden oder den von ihnen übertragenen Krankheitserregern noch unklar. In Praxis und Beratung werden diese Beobachtungen auch mit anderen Krankheiten, der Sikkation und Stress für die Pflanze in Verbindung gebracht (Potatoes South Africa, 2016). Aber auch die Zikade und die Krankheitserreger PHYPSO und ARSEPH können Stress verursachen. In der Schweiz wurde 2023 ARSEPH in Kartoffeln analysiert und es wurde von zunehmenden Problemen mit Verbräunungen nach dem Fritieren von Seiten der Chips-Industrie berichtet. Die Sorte Agria wies bei einer Frittierprobe bei 70 Prozent der Chips Verfärbungen auf. Dabei war auffällig, dass die Braunfärbung zuerst am Nabelende auftrat und dann ein Muster entlang des Gefäßbündels zu beobachten war (Mahillon et al., 2025). Im Projekt SIKAZIKA wurden an vier Standorten in den Streifenversuchen jeweils 10 Sorten in einer Wiederholung mit einem Netz abgedeckt, um die Pflanzen vor Zikaden zu schützen. Mit dem Ausschluss der Zikaden sollen die Auswirkungen des Befalls auf Ertrag und Qualität untersucht werden. Auch in diesen Versuchen zeigte sich 2024 mittels Netz eine Reduktion der Gefäßbündelverbräunungen und Nabelendnekrosen bei höheren Erträgen. 

Einfluss auf die Pflanzgut-Vermehrung

Im Gegensatz zur Zuckerrübe werden Kartoffeln vegetativ durch Pflanzgut vermehrt. Es gibt nur wenige Studien über die Auswirkungen von PHYPSO auf Pflanzkartoffeln. Es wurde eine geringe Infektionsrate bei Pflanzen, die aus PHYPSO-infizierten Knollen herangezogen wurden beobachtet (Ember et al. 2011). Im Gegensatz dazu wurde von einem Ausfall oder einer Verzögerung der Keimung bei Knollen aus infizierten Pflanzen berichtet. Allerdings zeigten Pflanzen, die aus Tochterknollen infizierter Pflanzen gezogen wurden, in derselben Studie im folgenden Jahr keine Symptome (Riedle-Bauer et al., 2021). Bislang gibt es keine abgeschlossenen Studien über die Auswirkungen von ARSEPH auf Pflanzkartoffeln. Dieses wird jedoch am Pflanzenschutzdienst des Regierungspräsidiums Gießen im Rahmen des Projektes SIKAZIKA näher untersucht.

Monitoring und Verbreitung der Schilf-Glasflügelzikade in Kartoffeln

Das erste Monitoring der Schilf-Glasflügelzikade in Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg in der Kartoffel erfolgte im Jahr 2023. Auf den Karten sind jeweils die Zikadensumme von einem Jahr je Monitoringstandort gezeigt. Bei den Zahlen handelt es sich ausschließlich um Schilf-Glasflügelzikaden. 

Im Jahr 2023 stellten sich als Hotspot die beiden Standorte Bürstadt (917 Schilf-Glasflügelzikaden) und Worms-Ibersheim (675 Schilf-Glasflügelzikaden) heraus. Ein Monitoring-Standort in Groß-Zimmern, in der Nähe von Darmstadt und ein Standort in Massenbach, in der Nähe von Heilbronn, zeigten ebenfalls ein hohes Aufkommen. Das verdeutlicht, dass auch abseits der Rheinebene hohe Zikadenfangzahlen in Kartoffelbeständen möglich sind.

Das Leimtafel-Monitoring zeigte 2024 einen Rückgang der Schilf-Glasflügelzikade. In den Kartoffelbeständen wurden dennoch deutliche Symptome, die mit der bakteriellen Kartoffelknollen-Welke in Zusammenhang gebracht werden, beobachtet. Möglicherweise wurden aufgrund der Methode die Zikaden nicht richtig erfasst, da diese wegen der nassen Witterung im Jahr 2024 weniger häufig geflogen sind und/oder sich mehr in den Pflanzenbeständen aufgehalten haben. Zudem ist bisher unklar, wie viele Zikaden für einen starken Befall nötig sind.

Monitoring-Ergebnisse in Kartoffeln aus dem Jahr 2023.
Monitoring-Ergebnisse in Kartoffeln aus dem Jahr 2024.

Im Jahr 2024 zeigten sich ebenfalls verstärkte Probleme in Bayern, was die weite Verbreitung der Schilf-Glasflügelzikade verdeutlicht. Inzwischen haben weitere Bundesländer ein Monitoring der Schilf-Glasflügelzikade gestartet bzw. ihre Aktivitäten ausgeweitet. Grundsätzlich gefährdet sind Regionen mit Kartoffel- und Zuckerrübenanbau. Außerdem zeichnet sich ab, dass auch weitere Kulturen betroffen sind, was die Situation verschärfen kann. Einzelne Zikaden werden beim Monitoring in fast allen Regionen Deutschlands festgestellt. Entscheidend ist jedoch, in welchen Regionen Pathogene nachgewiesen werden. 

Erregerverteilung

Es wurden Kartoffelknollen aus verschiedenen Regionen in Rheinland-Pfalz und Hessen auf die beiden Pathogene in 2022 und 2023 analysiert (Rinklef et al. 2024). Dabei zeigte sich, dass ARSEPH in Kartoffelbeständen 2022 weit verbreitet ist, insbesondere in der Region des Rheingrabens. Bei dem Monitoring im darauffolgenden Jahr zeigte sich, dass PHYPSO in vielen Regionen zugenommen hat, während ARSEPH in den beiden Jahren ähnlich verteilt war. Diese Untersuchung zeigt, dass es regionale Unterschiede in dem Erregerauftreten gibt, die dynamisch sind. 

Im Projekt SIKAZIKA wurden 2023 und 2024 ebenfalls Knollenproben in verschiedenen Regionen gesammelt und auf ihre Beladung mit den beiden Erregern untersucht. Es dominierte 2023 PHYPSO im Raum Frankfurt, Mainz/Wiesbaden und Heilbronn, während im Raum Worms und dem südlichen Ried, mehr ARSEPH beziehungsweise Doppelinfektionen mit beiden Erregern nachgewiesen wurden. Im Jahr 2024 dominierte PHYPSO weiterhin im Raum Heilbronn, während in der Pfalz, Rheinhessen und Mainz/Wiesbaden der Anteil von ARSEPH deutlich zugenommen hat.

Regionale Verteilung der Erreger in Knollenproben aus dem Jahr 2023 im Projekt SIKAZIKA (Zahl im Diagramm entspricht der Anzahl an Proben je Kreisdiagramm).
Bild: Projekt - SIKAZIKA
Regionale Verteilung der Erreger in Knollenproben aus dem Jahr 2024 im Projekt SIKAZIKA (Zahl im Diagramm entspricht der Anzahl an Proben je Kreisdiagramm).
Bild: Projekt - SIKAZIKA

Maßnahmen zur Eindämmung des Befalls

Zur effektiven Eindämmung des Problems wird vermutlich eine Kombination verschiedener Maßnahmen erforderlich sein. Neben dem Einsatz toleranter Sorten könnte auch eine angepasste Fruchtfolge eine wichtige Rolle spielen, etwa durch den Einsatz von Sommerungen. In Sommerungen nach Zuckerrüben wurde im Vergleich zu Winterungen ein reduzierter Ausflug beobachtet. Ähnliche Ergebnisse könnten bei Kartoffeln erwarten werden (Lang et al. 2025). 

Ebenso könnte eine gezielte Bodenbearbeitung nach der Ernte einen positiven Effekt haben, da die Nymphen empfindlich gegenüber mechanischer Belastung sind. Aufgrund der höheren Bodentemperaturen im Herbst verweilen sie in der oberen Bodenschicht, bevor die Nymphen im Winter in tiefere Bodenschichten abwandern (Behrmann et al. 2022). Hier ist allerdings noch weitere Forschung nötig. Zudem hat sich in der Praxis gezeigt, dass ein früherer Pflanz- und Erntezeitpunkt den Ertrag und die Knollenqualität verbessern kann, im Vergleich zu einer späteren Pflanzung bzw. Ernte. 

Zu dieser Fragestellung wird 2025 ein Exaktversuch an der Technischen Hochschule in Bingen im Rahmen des KARTOZIK-Projektes und ein weiterer Versuch im Rahmen des KUMBIT-Projektes, welches in diesem Jahr starten wird, stattfinden. Aus Beobachtungen zeigt sich, dass eine gestresste Pflanze eine anfällige Pflanze ist. Daher ist auf eine gute Entwicklung im jungen Stadium und auf die Reduktion von Stress zu achten. Auch wenn in Versuchen der Einsatz von Netzen vielversprechende Ergebnisse gezeigt hat, wird sich dies aus Kostengründen nicht in großem Umfang umsetzen lassen (Lang et al. 2025).

Forschungsbedarf

Die zunehmende Verbreitung der Schilf-Glasflügelzikade verstärkt den dringenden Handlungsbedarf für ihre Eindämmung, der Reduktion von Kulturschäden und der Entwicklung von kultur- und branchenübergreifender Lösungsansätze. Trotz intensiver Forschungsanstrengungen fehlen noch immer viele grundlegende Erkenntnisse sowie praktikable Lösungen für die betroffenen landwirtschaftlichen Kulturen.


Projekt - KARTOZIK

Das EIP-Agri Vorhaben KARTOZIK wird über den GAP-Strategieplan aus Mitteln der Europäischen Union und des Landes Rheinland-Pfalz finanziert.


Projekt - SIKAZIKA

Die Operationelle Gruppe SIKAZIKA wird durch die EU im Rahmen der Europäischen Innovationspartnerschaft (EIP-Agri) und das Land Hessen im Rahmen des GAP-Strategieplans für die Bundesrepublik Deutschland von 05/2023 bis 04/2026 gefördert. Ziel der EIP-Agri ist es, Innovationen zu entwickeln, um Nachhaltigkeit und Effizienz in der Landwirtschaft zu steigern.


Dorothee Kreimer und David Löffler

Agrarservice Hessen-Pfalz GmbH

Letzte Aktualisierung: 08.04.2025

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