Abschätzung der Spritzwasserhöhe
Kernstück des erweiterten Krankheitsmodells ist das Splash-Modul. Große Regentropfen können am Boden mit infektiösen Zoosporen beladen werden und so in die Laubwand und auch in die Atmosphäre gelangen. Für P. viticola wurden die physikalischen Basisdaten der hierbei stattfindenden Prozesse im Rahmen eines Verbundprojektes erstmals sehr detailliert erarbeitet.
Die Höhe, die Spritzwasser erreichen kann, ist grundsätzlich abhängig vom Regentropfenspektrum (d. h. Landregen < Schauer < Gewitter) sowie von der Beschaffenheit der Aufschlagfläche (z. B. Sandboden, Grasnarbe oder Wasserfilm).
Die Spritzwasserhöhen über Gras erreichen im Mittel nicht die Werte über Brache. Trifft ein Niederschlagstropfen auf der Brache auf, wird die gesamte Energie auf die Spritzwasser-Tröpfchen verteilt. Bei einer begrünten Rebgasse hingegen wird ein Teil der Energie vom Gras aufgenommen, da die Grashalme beim Auftreffen der Niederschlagstropfen etwas zurückfedern.
Bodeninfektionsindex
Der so genannte Bodeninfektionsindex (BI) umfasst Bodenfeuchte-Parameter, die nach Abschluss der Reifung der Oosporen für deren Keimung von Bedeutung sind. So besteht z. B. ein enger Zusammenhang zwischen dem Flüssigwasserpotenzial im Oberboden und der Möglichkeit der Bildung kleiner Wasserpfützen, in denen die begeißelten Sporen schwimmen können und dadurch über einen längeren Zeitraum potenziell infektiös bleiben. Von diesen Bedingungen hängt die Auslösung einer erfolgreichen Infektion durch Splash maßgeblich ab.
Sekundärinfektionen
Je wärmer die Region und je höher die Niederschläge im Mai/Juni, desto schneller und stärker kann sich die Peronospora nach erfolgter Primärinfektion ausbreiten. Voraussetzung sind blattunterseits gebildete Sporangien. Nur beim Vorliegen definierter meteorologischer Bedingungen kommt es zur Bildung eines Sporangienrasens auf der Blattunterseite oder an den Gescheinen, die als Sporulation bezeichnet wird.
Folgende Bedingungen müssen dafür erfüllt sein:
- sichtbare Ölflecken
- Dunkelheit
- durchgehende Blattnässe von mindestens vier Stunden oder eine relative Feuchte > 97%
- Temperatur > 12,5°C zu Beginn der Feuchtephase
- Durchschnittstemperatur > 11°C während der ersten vier Stunden der Nässe-Dunkelperiode
Nur wenn alle Punkte erfüllt sind, bildet sich der Sporangienrasen. Bei einer Dauer knapp unter vier Stunden tritt keine Sporulation auf. Wird die Grenze von vier Stunden überschritten, findet Sporulation statt und der Sporangienrasen ist auf der Blattunterseite zu erkennen. Je höher die Temperatur in den ersten vier Stunden mit Blattnässe ist, desto mehr Sporangien werden gebildet.
Zu einer Infektion benachbarter Blätter kommt es jedoch nur, wenn auch in der nachfolgenden Zeitspanne bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Weiter anhaltende Blattnässe von mindestens fünf Stunden und gleichzeitig eine Temperatursumme von 50 Gradstunden sind zusammen mit tropfbar flüssigem Wasser Voraussetzung für die Verfrachtung der Sporangien auf andere Blätter. Die daraus entlassenen Zoosporen haben nur eine kurze Lebensdauer. Wenn nicht innerhalb weniger Stunden eine Infektion gesetzt werden kann (Abwerfen der Geißeln; Bildung einer Keimhyphe), stellen die empfindlichen Zoosporen ihre Schwimmbewegung ein und sterben ab.
Das Ende der Inkubationszeit zeigt sich am Auftreten eines Ölflecks, der typischen Läsion nach einer Peronospora-Infektion. Die Inkubationszeit ist ebenfalls temperaturabhängig und liegt bei (hoch)sommerlichen Bedingungen zwischen einer und zwei Wochen.
Im Gegensatz zu bodenbürtigen Infektionen breiten sich Sekundärinfektionen relativ kleinräumig aus, da weder Sporangien noch entlassene Zoosporen vom Blatt oder Geschein über größere Distanzen verfrachtet werden können. Großflächige (Erst-)Infektionen ganzer Weinberge gehen demzufolge in aller Regel vom Boden aus – ein Indiz für die Gefährlichkeit oder "Virulenz" bodenbürtiger Infektionen.
Implementierung in die agrarmeteorologische Beratungssoftware
Alle neuen Submodelle und Indices wurden für die Nutzung in der Beratungsroutine in das Softwarepaket (AMBER) des Deutschen Wetterdienstes (DWD) aufgenommen. Der Kern des Programmpaketes besteht aus einer Verzahnung agrarmeteorologischer Modelle mit bodenphysikalischen, bestandsklimatologischen, phytopathologischen sowie weiteren Inhalten. Vorgeschaltet sind Routinen zur Dateneinsteuerung (meteorologischen Mess- und Vorhersagedaten, phänologische Daten, Bestandsdaten). Insgesamt werden über 200 agrarmeteorologische Parameter für mehrtägige Vorhersagezeiträume bereitgestellt.
Fungizid-Behandlungen können so an den individuell herrschenden Befallsdruck angepasst werden. Die Peronospora-Kalamität im Jahr 2016 hat gezeigt, wie hilfreich insbesondere die exakte Vorhersage der zahlreichen bodenbürtigen Infektionen und auch die Darstellung der starken Überlappung von Inkubationszeiten als Entscheidungshilfe in der Rebschutzpraxis war.